2001 Faszination Jakobsweg

Die Faszination des Jakobsweges “Camino de Santiago”

Wer gerne wandert und sich nicht scheut, tage- oder gar wochenlang mit dem Rucksack unterwegs zu sein, für den ist der “Camino” in vielerlei Hinsicht ein absolutes Sahnehäubchen: Er ist ein alter Pilgerwanderweg, der über die Pyrenäen nach Santiago de Compostela im Nordwesten Spaniens führt, wo auf wundersame Weise anno 825 das Grab des hl. Jakobus entdeckt wurde. Dieses Ereignis setzte über Jahrhunderte hinweg Pilgerströme aus ganz Europa in Bewegung und mobilisierte neue Kräfte zur Zurückeroberung und Befreiung Spaniens von den Mauren. Der uns bekannteste und wohl auch berühmteste Pilgerwanderer war der hl. Franz von Assisi.

Kloster Leyre am Yesasee
Die über 1000-jährige Geschichte des Weges, verbunden mit der abwechslungsreichen Schönheit, die die Pyrenäen und die nordspanischen Landschaften bieten, lassen die Pilgerschaft zu einem einzigartigen Erlebnis werden. Der Weg ist gesäumt mit Klöstern, wunderschönen Kirchen, Trutzburgen und Einsiedeleien, Hospizen für die ehemals kranken Pilger, auch einigen Totenkapellen, bei denen die unterwegs verstorbenen Pilger bestattet wurden.

Burg Javier, Heimat hl.Franz-Xaver
Viele Orte sind durch die Pilgerbewegung entstanden und manche alte Steinbrücke, manch alter Brunnen wurde errichtet, um den Pilgern den langen und beschwerlichen Weg zu erleichtern. Auch wir, d.h. meine Frau und ich, lernten bei Temperaturen bis zu 35° C im Schatten das Lebensmittel Wasser wieder besonders schätzen, denn an einigen Brunnen stand “no fit to drink” oder das Wasser war stark gechlort.

Wir glaubten fast an ein Wunder, als hinter Estella ein einmaliger Brunnen zum Verweilen einlud. Aus einem Hahn floss erfrischendes Wasser, aus dem anderen sprudelte kostenlos ein kräftiger und stärkender Navarreser Wein. Glücklicherweise waren wir dort am Ende und nicht am Anfang der Tagesetappe angekommen. Der Brunnen wurde 1991 von einer großen Weinkellerei für die Pilgerwanderer eingerichtet. Dass auch in einer Kirche zur Erinnerung an ein Wunder jahraus, jahrein ein weißer Hahn und eine weiße Henne auf einer kleinen Empore ihr Dasein fristen und während des Gottesdienstes krähen und gackern dürfen, stellten wir nicht nach dem Weingenuss fest, sondern 4 Tage später in Santo Domingo de la Calzada.

Blick zurück nach Frankreich
Einer der beiden Hauptwege, die sich kurz vor Puente la Reina vereinen, beginnt am Somport-Pass (1640 m) an der französisch-spanischen Grenze, der andere weiter westlich in St-Jean-Pied-de-Port, wo aber schon auf der ersten Etappe der Lepoeder (1410 m) zu überwinden ist (Höhendifferenz 1300 m). Die Wegstrecke von Somport bis Compostela ist 840 km lang, die andere 75 km kürzer.

Spanischer Trockenraum
Wir pilgerten vom 21.05. bis 06.06.2001 ein Teilstück von Somport bis zum 350 km entfernten Burgos. Die Anfahrt erfolgte mit dem Nachtzug über Straßburg, Paris, Pau und Oloron, wobei das letzte Stück zum Somport-Pass mit dem Bus zu fahren war. Die Rückfahrt ging von Burgos aus über die Grenzstation Hendaye, Paris nach Karlsruhe.

Der Jakobsweg, der seit 1993 zum Weltkulturerbe zählt, erlebt seitdem verstärkt eine  Renaissance. Wir waren überrascht, neben Spaniern, Franzosen, Deutschen, Holländern, Dänen, Engländern, Österreichern und Schweizern auch Pilgern aus Brasilien und USA zu begegnen. Aus aller Welt kommen sie, selbst aus Australien, Japan und Neuseeland, wie wir in Gästelisten nachlesen konnten. Am meisten beeindruckte uns ein schätzungsweise über 75 Jahre alter, gehbehinderter Schotte, der auch schon über 200 km unterwegs war und uns mit feurigen Augen und rauer Stimme erklärte, dass sein Ziel Compostela sei, nur halt in kleineren Etappen.

spanischer Pferdepilger
Alle mit denen wir sprachen, wollten ohne Unterbrechung nach Compostela. Etliche Frauen waren allein unterwegs, werden aber wie alle anderen Pilgerwanderer als “Peregrinas” respektiert und nicht behelligt. Bei allen diesen Begegnungen fragt man sich nach der Motivation des Anderen und macht sich so seine Gedanken.

Übernachten kann man zum Teil kostenlos oder gegen geringes Entgelt in Pilgerherbergen (Refugios), die unseren Jugendherbergen gleichen. Jedoch ist ein Pilgerausweis erforderlich, den man bei den Jakobusgesellschaften, z.B. in Aachen, besorgen kann. Wir zogen es bis auf wenige Ausnahmen vor, in Pensionen und Hotels zu schlafen. In den Herbergen ist spätestens um 5.00 Uhr die Nachtruhe zu Ende, da dann die ersten Pilger bereits wieder aufbrechen, um entweder der Mittagshitze auszuweichen oder aber als erste in der nächsten Herberge anzukommen. Dann ist es nämlich noch möglich, seinen Schlafplatz auszuwählen, in Ruhe warm zu duschen und ohne "Gummistiefel" die Toiletten zu benutzen.

Die meisten Pilger, junge wie alte, hatten große Probleme mit Blasen an den Füßen. Es waren einmalige Bilder, wie in den Herbergen die einen schon im “Koma” lagen und die anderen noch die Füße pflegten und pflasterten oder die Gelenke neu bandagierten. Doch keiner gab auf. Warum nicht? - Darauf gibt es keine Antwort. Das ist eben die unbeschreibliche Faszination des Camino de Santiago. Jeder, der ihn geht wird angesteckt. Wir wollen im Jahr 2002 den Camino bis Santiago de Compostela fortsetzen und beenden.

Nachtrag:
US-Pilgerinnen aus New York
Wir hatten in der Bar von San Juan de Ortega auch zwei Amerikanerinnen näher kennengelernt, die sich eine kleine Wohnung in New York teilten. Sie waren uns Tage zuvor schon aufgefallen, da die eine sehr groß war und gemessenen Schrittes ging, die andere eher klein und etwas pummelig mit Trippelschritten nebenher lief. Beide hatten durch ausgewanderte Vorfahren Wurzeln in der deutschsprachigen Schweiz, sich aber noch nie gegenseitig in dieser Sprache reden hören. Es war für sie und uns sehr lustig, da auch noch zwei Schweizer Ehepaare am Tisch saßen.

San Juan de Ortega
Als Wochen später am 11.09.2001 dieser schreckliche Terroranschlag in New York passierte, dachten wir sofort an die beiden US-Pilgerinnen und bedauerten sehr, dass wir keine Adressen ausgetauscht hatten. Umso unbeschreiblicher war unsere Freude, als meine Frau und ich bei den Trauerfeierlichkeiten, die im Fernsehen übertragen wurden, die beiden sofort in einem Chor wieder erkannten, da sie ganz außen nebeneinander standen. Wir schätzten uns echt glücklich und konnten in diesem Moment nicht begreifen, wie klein die Welt doch sein kann.

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