2002 Faszination Jakobsweg

Auf Augenhöhe mit Störchen in Burgos
Am Freitag, 26.04.2002, machten wir uns mit dem Auto auf den Weg nach Burgos, um dort die im vergangenen Jahr unterbrochene Pilgerwanderung nach Santiago de Compostela fortzusetzen. Nach einer Zwischenübernachtung in Tulle (Südfrankreich) kamen wir am Samstag Nachmittag in Burgos an, ohne zu wissen, wo wir für die nächsten 3-4 Wochen das Auto parken konnten.

Wochenend und Sonnenschein in Burgos
Es hört sich unglaublich an, dass wir auf Anhieb einen Menschen fanden, der uns ohne finanzielle Forderung einen seiner beiden Tiefgaragenstellplätze zur Verfügung stellte. Er war Barbesitzer, betrieb eine Autowaschanlage und -servicestation mit angrenzendem Parkplatz, was für uns Anlass zum Anhalten und zur Nachfrage war.

War da schon etwas vom Geist des Weges und unseres Pilgerzieles zu spüren, das in knapp 500 km Entfernung lag? Jedenfalls konnten wir uns am nächsten Morgen glücklich und unbeschwert wieder in den Bann des über 1000-jährigen Jakobsweges und dessen lebendiger Geschichte ziehen lassen.

Kathedrale von Burgos
Burgos, eine sehenswerte Stadt auf dem Jakobsweg, wurde im 11. Jh. Hauptstadt des neu entstandenen Königreichs Kastilien. In der beeindruckenden Kathedrale liegt der als El Cid in die Weltgeschichte und -literatur eingegangene kastilische Feldherr und Nationalheld Rodrigo Diaz begraben, der bei König Alfonso VI. in Ungnade gefallen war und deshalb zeitweise dem maurischen König von Zaragoza diente und für ihn kämpfte.

Jakobus "matamoros" Kathedrale Burgos
Zur Zeit der Reconquista war der Pilgerweg zum Grab des Hl. Apostels Jakobus in Santiago immer wieder Mittelpunkt kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen Mauren und Christen. Wir durchwanderten einen Landstrich, wo Karl der Große in einer Schlacht gegen den Sarazenerfeldherrn Aigolando vernichtend geschlagen wurde und dabei 40.000 Christen verloren haben soll, unter ihnen Milón, den Vater des Helden Roland. Es verwundert nicht und entsprach dem damaligen Zeitgeist, dass der Hl. Jakobus, der im Jahre 44 n.Chr. in Jerusalem den Märtyrertod erlitt, nicht nur als Pilger (peregrino) verehrt und dargestellt wird, sondern auch als Kämpfer und Maurentöter (matamoros).

Die Meseta - sowohl geliebt ...
Eineinhalb Tagesetappen nach Burgos begann eine der charakteristischsten Landschaften des Jakobsweges, die Meseta. Die Landschaft ist vollkommen flach und nahezu baumlos. Der Weg verläuft teils neben der Straße, mitunter aber in völliger Abgeschiedenheit und fast schnurgerade durch
... als auch gefürchtet
unendlich scheinendes Getreide- und Ackerland. Spätestens nach diesem Abschnitt, der sich bis Sahagún erstreckt, ist alles was wichtig war unwichtig, Geist und Seele sind geläutert und, wenn man so will,  der Durchhaltewille gestärkt und der Rucksack wird als Teil des Körpers empfunden.

Wohl dem, der sich bei der Vorbereitung auf das Notwendigste beschränkt und auf geringes Packgewicht geachtet hatte. Ebenso wichtig ist es, den Füßen von Beginn an aufmerksame Pflege angedeihen zu lassen, denn sie sind es, die alle Last tragen und sich täglich ca. 30.000 Mal vorwärts bewegen müssen.

Dass es aber an einem Tag unterwegs keinen Proviant zu kaufen gab, hatte nicht nur uns kalt erwischt. Die eiserne Reserve, drei Scheiben Knäckebrot und etwas Käse mussten reichen. Drei stämmige Männer hatten sich eine kleine Hartwurst geteilt. An diesem Abend gab es viel zu lachen.

Pilgerankunft Innenhof Kloster Santa Clara
In Carrion de los Condes übernachteten wir im Kloster Santa Clara, in dem auch Franz von Assisi auf seiner Pilgerreise Aufnahme fand, was den Reiz der klösterlichen Atmosphäre noch verstärkte.

Nach Leon, der einstigen römischen Garnisonsstadt
und dem mehr als zweitausendjährigen Astorga wurde die Landschaft wieder abwechslungsreicher. Die Berge waren erreicht, präsentierten sich in gelbem und weißem Ginster und mannshohen weißen und pinkfarbenen Erikabüschen. Es ist eine der schönsten Strecken des Jakobsweges. In 1500 m Höhe erreichten wir das
Cruz de ferro
berühmte, auf einem gewaltigen Steinhaufen stehende eiserne Pilgerkreuz. Der Steinhaufen ist in Jahrhunderte  alter Tradition entstanden und auch heute noch fügen die Pilger Steine hinzu. In Ponferrada kamen wir an einer mächtigen Burg vorbei, die vom Templerorden im 12./13. Jh. errichtet wurde und den Weg der Pilger und die Brücke über den Fluss Sil sichern sollte.

Weg nach O Cebreiro
Auf dem nächsten Pass in 1300 m Höhe liegt O Cebreiro, ein galicischer Wallfahrtsort mit urtümlichen, strohgedeckten Rundhäusern. Hier mussten wir die Tagesetappe abbrechen, weil es gegen Mittag so gewaltig stürmte und schneite, dass an ein Weiterkommen nicht zu denken war. Drei Stunden später wurden wir mit strahlend blauem Himmel und einer faszinierenden Fernsicht entschädigt.

Brunnenanlage bei San Xil
Mit dem Erreichen von Sarria, Portomarin, Palas de Rei und dem Durchwandern von Eichen- und duftenden Eukalyptuswäldern waren wir dem Ziel schon sehr nahe gekommen. Alle 500 Meter zeigte ein mit der Jakobsmuschel gezierter
Kurz vor Portomarin
Randstein die Entfernung nach Santiago an. In Lavacolla, 10 km vor dem Ziel, übernachteten wir letztmals. Im gleichnamigen Bach badeten früher die Pilger und bereiteten sich auf den großen Augenblick vor. Jetzt war nur noch der “Berg der Freude” (Monte de Gozo), von dem man erstmals die Barockstadt Santiago erblicken kann, zu überqueren um nach 4 km am Ziel aller Pilgerträume zu sein.

Es war Pfingstmontag, ein Werktag in Spanien und wir begaben uns direkt in die Kathedrale, zum mittäglichen Pilgergottesdienst.
Zaungäste in Monte de Gozo
Wir waren sehr überrascht, als wir unter den Priestern am Altar einen jungen französischen Pilger erkannten, der, wie wir wenige Tage zuvor von ihm erfuhren, bereits 45 Tage unterwegs war und schon 1.200 km von seiner Heimatstadt Le Puy aus zurückgelegt hatte. Die zweite Überraschung hatten wir wohl seiner Anwesenheit zu verdanken, denn wir durften am Ende des Gottesdienstes erleben, wie das riesige, 54 kg schwere Weihrauchfass (botafumeiro) hereingetragen, an das über eine Rolle in 21 m Höhe geführte Seil gehängt und am anderen, mehrstrangigen Ende von 8 Männern in einer bewundernswerten Technik in hohem Bogen von über 42 m Weglänge durch das Querschiff geschwenkt wurde. Dazu setzte unerwartet und voll die Orgel ein, sodass uns wahre Schauer über den Rücken liefen. Dieses Erlebnis war für uns der absolute Höhe- und Schlusspunkt der Pilgerschaft.

Bei dem Gedanken, dass das erreichte Ziel eben auch Ende bedeutet, mischte sich der Freude auch Wehmut bei, denn die netten Begegnungen und Gespräche mit zwei Schweizer Ehepaaren, drei Mittenwalder Frauen, drei Abiturientinnen aus Bremerhafen, drei Pilgern aus dem Heidelberger Raum, einem Ehepaar aus Koblenz, das zum Abschluss in Santiago Silberhochzeit feierte und alle anderen Begegnungen, Erlebnisse, Erfahrungen und Eindrücke sind jetzt nur noch schöne und unvergessliche Erinnerung.

Wir fuhren am nächsten Morgen mit dem Bus nach Burgos, meldeten uns tags darauf bei unserem großherzigen Garagen-Gönner mit einem Geschenk zurück und traten dann die Heimreise an.

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